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Automaten, Sportwetten, Poker...Das gefährliche Spiel mit dem Glück

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In Deutschland gibt es rund 180.000 süchtige Glücksspieler.

von Tobias Schrader (tsc)

Köln – So gut wie jeder hat es schon einmal gemacht: Sich an einen Spielautomaten gesetzt und einen Euro reingeschmissen. Und bei jedem ist dabei wahrscheinlich ein bisschen das Verlangen nach mehr Gewinn gekommen. Aber wenn das Geld einmal weg ist, dann ist es auch egal. Nicht egal ist aber, wenn aus einem Euro auf einmal zehn, dann 100, dann 200 Euro werden. Und man zu einem pathologischen, also süchtigen Glücksspieler wird.

„Glücksspieler sind sehr gute Schauspieler

Davon gibt es in Deutschland circa 180.000, dazu noch weitere 200.000, die ein problematisches Spielverhalten aufweisen. Die Sucht alleine zu besiegen, ist zu schwer, deshalb müssen sich die Betroffenen professionelle Hilfe holen.

Sind Sie süchtig nach etwas?

Wenn drei dieser sechs allgemeinen Merkmale zutreffen, gilt man als süchtig: • Sucht wird zum Lebensmittelpunkt • Kontrollverlust: Schwierigkeiten, das Suchtverhalten zu kontrollieren, häufige Rückfälle • Dosissteigerung: Immer größere Mengen werden eingenommen • Toleranzentwicklung: Die Sucht bringt das Verlangen von immer größeren Mengen • Physische und psychische Entzugserscheinungen • Negative biopsychosoziale Folgen: Das soziale Umfeld wird durch die Sucht beeinflusst

Wie zum Beispiel in der Kölner Fachstelle für Glücksspielsucht, wo Dr. Wolfgang Kursawe (61) arbeitet: „Es gibt sechs allgemeine Merkmale für Suchterkrankung: Die Krankheit, die Sucht wird zum Lebensmittelpunkt, es tritt Kontrollverlust auf, es gibt eine Dosissteigerung, Entzugserscheinungen, eine Toleranzentwicklung und sogenannte negative biopsychosoziale Folgen.“ Wenn mindestens drei dieser Merkmale zutreffen, spreche man von einer Suchterkrankung.

Man übertrifft sein Limit und will den Verlust wieder reinholen

Die Angehörigen haben es dann aber oft erst zu spät erkannt, dass der Ehemann, Vater, Bruder süchtig ist. „Glücksspieler sind in der Regel sehr gute Schauspieler. Es gelingt ihnen oft, teilweise jahrelang, es vor wichtigen Bezugspersonen zu verheimlichen, dass sie ein Glücksspielproblem haben. Es gibt schon Hinweise darauf, wenn man sich zum Beispiel bestimmte Kontobewegungen anschaut, oder feststellt, dass die Person selten zu Hause ist und sich in Spielbanken oder Wettbüros aufhält“, erklärt Dr. Kursawe.

Die Entwicklung einer Suchterkrankung sei ein längerer Prozess, es dauere Jahre, bis sich eine Sucht ausprägt, sagt der Fachmann: „Irgendwann kippt das um, das heißt, es entsteht ein Kontrollverlust, man hat ein inneres Limit, was die Zeit und die Einsätze betrifft, aber macht dann trotzdem mehr. Dann kommt das Chasing, man will das verlorene Geld wieder reinholen. Das sind dann natürlich erste Kennzeichen für ein problematisches oder auch spielsüchtiges Verhalten.“

Betroffene verspielte bis zu zwei Millionen Euro

Das kann dann so weit gehen, dass sich hohe Schuldenberge auftürmen, die wiederum in der Privatinsolvenz oder Depressionen enden:

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat in den letzten Jahren durch repräsentative Umfragen eine Risikogruppe für Glücksspiel ermittelt: Besonders anfällig sind bildungsschwächere Männer unter 25 Jahren. Insgesamt sind rund 90 Prozent aller pathologischen Süchtigen männlich, im Schnitt 35 Jahre alt und  spielen schon acht bis zehn Jahre.

Automatenspieler wurden weniger – Sportwetten auf dem Vormarsch

Das Glücksspiel ist aber heute nicht mehr nur das, wie wir es von früher mit Automaten und Casinos kannten. Heutzutage spielen noch circa 60 Prozent der Süchtigen am Automaten, vor zehn Jahren waren es noch 90 Prozent.

 „In den letzten Jahren haben insbesondere die Sportwetter zugenommen, aber auch die Poker- und Onlinespieler“, so Dr. Kursawe über die Entwicklung: „Man muss ganz genau unterscheiden zwischen Glücksspiel und  Videospielen. Bei Glücksspiel geht es immer um Geld, das Ergebnis ist weitgehend vom Zufall, vom Glück abhängig. Das heißt, bei Videospielen müssen sie häufig kein Geld einsetzen. Bei Videospielen werden manchmal Elemente vom Glücksspiel integriert.“

„Je schneller ein Glücksspiel ist, umso gefährlicher ist es“

Vor allem aber bergen  Sportwetten eine große Gefahr für Spielsüchtige, wie Dr. Kursawe weiß: „Durch die Digitalisierung wird heute natürlich alles noch viel schneller, gerade was die Live-Sportwetten angeht. Im Glücksspiel kann man sich als Faustregel merken: Je schneller ein Glücksspiel ist, desto attraktiver ist es, aber umso gefährlicher ist es auch.“ Deshalb sei Lotto für Glücksspieler eher langweilig, weil man Tage auf das Ergebnis warten muss: „Es muss schnell gehen, siegen oder fliegen, Top oder Flop.“

In  Köln gibt es insgesamt 250 Spielhallen, jedoch weiß man nicht, wie viele Wettbüros existieren. „Da haben das Ordnungsamt und das Gewerbeamt gar keinen Überblick, weil jede Woche neue dazukommen“, so der 61-Jährige.

Es ist eine Flucht aus dem Alltag. Ein Weglaufen vor Problemen. Aber die werden mit einer Sucht nur noch vergrößert. Oft endet sie sogar tödlich. Jedes Jahr sterben in Deutschland etwa 120.000 Menschen an den Folgen ihres Tabakkonsums, weitere 21.000 an den Auswirkungen schädlichen Alkoholkonsums, und etwa 1300 Todesfälle sind laut des Drogen- und Suchtberichts 2018 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung direkt auf den Konsum illegaler Drogen zurückzuführen.

Im Zeitalter der Digitalisierung rücken zusätzlich suchtbezogene Risiken der Internetnutzung in den Fokus. Das Thema Sucht ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig – und trotzdem noch immer ein verschwiegenes. Im EXPRESS sprechen Betroffene, Ärzte und Überlebende – denn alle können mithelfen, gegen Süchte zu kämpfen.

Dabei besitzen viele Sportwetten-Anbieter keine offiziellen deutschen Lizenzen, sondern arbeiten mit allgemeinen EU-Lizenzen. Einziger offizieller Wettanbieter in Deutschland ist Oddset, wie Dr. Kursawe sagt. Es ist die „einzige legale staatliche Sportwette in Deutschland“ neben über 70 Anbietern, die hierzulande keine Lizenzen haben.

Staat nimmt trotzdem Sportwettensteuer ein

Aber warum tut der Staat nichts dagegen? Womöglich, weil er von jedem Anbieter für jede platzierte Sportwette fünf Prozent Steuern bekommt? 2016 nahm der Staat insgesamt 307 Millionen Euro durch die Sportwettensteuer ein, 2017 war es schon deutlich mehr. „Die Anbieter bezahlen die Steuer auch, weil ein Steuervergehen ein Straftatbestand ist. Der wird ganz anders bestraft, als das Angebot eines Glücksspiel. Das ist nur eine Ordnungswidrigkeit“, sagt Dr. Kursawe. In vielen Staaten wurde Transparenz geschaffen, die Märkte offen reguliert.

Dr. Kursawe will am Ende aber noch einmal eine Lanze für diejenigen brechen, die sich nicht vom Glücksspiel verleiten lassen: „Man muss aber auch ganz klar sagen, die Mehrzahl der Menschen kann mit Glücksspiel angemessen umgehen. Es spielen jede Woche etliche Leute Lotto, was völlig unproblematisch ist. Ich bin kein Vertreter der sagt, Glücksspiele müssen verboten werden. Wenn man das tun würde, dann hätte man in jedem dritten Haus eine kleine Spielbank.“

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