„Er hatte richtige Ideen, aber ...“ZDF-Doku über Habeck-Lindner-Zoff – Kölner Bestseller-Autor mit Klartext

Gegensätze ziehen sich leider doch nicht immer an: Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, links) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) liegen selten auf einer Wellenlinie.

Gegensätze ziehen sich leider doch nicht immer an: Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, links) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) liegen selten auf einer Wellenlinie.

Die ZDF-Doku „Habeck contra Lindner“ versucht zu ergründen, woher die tiefe Kluft zwischen dem Finanzminister und dem Wirtschaftsminister rührt. Das gelingt. Ein Szenario, wie eine gemeinsame positive Zukunft beider – und aller im Land – aussehen könnte, nicht.

Im Großteil seiner 45-minütigen Dokumentation „Habeck contra Lindner“ (abrufbar in der ZDF-Mediathek) zeigt Filmemacher Bernd Reufels mittels Statistiken und Beiträgen von allerhand profunden Expertisen auf, dass und warum der Christian (FDP) und der Robert (Grüne) so gar nicht miteinander können.

Und auch, dass die Regierungsarbeit - und damit die Funktionalität des Landes - unter dem Zwist nachhaltig leidet. Dabei lässt sich vieles, wenn nicht alles, auf den einen Satz zurückführen, den Lindner schon in der Anfangszeit seiner Politkarriere raushaute: „Lieber ein Haus im Grünen als einen Grünen im Haus.“

Habeck und Lindner: Gegensätze ziehen sich nicht immer an

Der ehemalige Wirtschaftsweise und Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Peter Bofinger bringt es in der Doku schön auf den Punkt: „Wenn der eine in die Richtung will und der andere in die andere Richtung, dann ist da viel Dynamik und viel Spannung, aber man kommt nicht vom Fleck.“ Das Problem beim Tauziehen der beiden politischen Muskelmänner ist: Im Bild könnte man Deutschland als das Seil ansehen. Was, wenn es unter all der gegensätzlichen Dynamik und Spannung reißt?

Alles zum Thema Christian Lindner

Gegensätzlich sind und waren sich Robert Habeck (54) und Christian Lindner (45) schon immer. Es trennen sie nicht nur neun Lebensjahre, sondern Welten, wenn es um Abstammung, politische Entwicklung und vor allem ihre politischen Vorstellungen geht.

Habeck und Lindner: Beide trennen Welten

Apothekersohn Habeck wuchs in der Kieler Förde auf, baute sein Abi, war Zivi, studierte dann in Roskilde und Hamburg und ist seit 2000 promovierter Doktor der Philosophie. Er ist seit 1996 verheiratet, hat vier Söhne. Er schrieb Kinderbücher, Romane und ein Theaterstück. Er ist Vegetarier und fährt mit dem Fahrrad - auch ins Ministerium.

2002, mit 32 Jahren, wurde er erst Mitglied der Grünen. 2008 noch lehnte er die Anfrage, Bundesvorsitzender zu werden, ab. Expertenmeinung: „Er wurde nicht durch das politische System geschaffen, sondern hat sich selbst politisch entwickelt.“ Bei allem Ehrgeiz schwinge bei Habeck, so der ehemalige hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), „immer ein bisschen Weltverbesserung“ mit.

Eine der wenigen Gemeinsamkeiten: Christian Lindner (links) und Robert Habeck stürzen in den Meinungsumfragen ab - ihre Parteien gleich mit.

Eine der wenigen Gemeinsamkeiten: Christian Lindner (links) und Robert Habeck stürzen in den Meinungsumfragen ab - ihre Parteien gleich mit. 

Christian Lindner, Sohn eines Oberstudienrates und im Bergischen Land groß geworden, wurde schon mit 16 Mitglied der FDP. Als Gymnasiast gründete er 1997 seine erste Firma. Nach dem Abi (1998) wurde auch er Zivi, fuhr da zu seinem Hausmeisterjob aber schon mit dem eigenen Porsche vor. Er ist passionierter Jäger und Fischer, trotz seiner Zivi-Tätigkeit Major der Reserve, besitzt eine Rennlizenz und einen Sportbootführerschein.

Er liebt es, Porsche zu fahren. Und seit 2018 Franca Lehfeldt, mit der er seit 2022 (in zweiter Ehe) verheiratet ist. Kinder hat er nicht. Er durchlief das politische System von klein auf. Er konnte schon mit 17 fehlerfrei klischeehafte Parolen und knackige Zitate vortragen: „Probleme sind nur dornige Chancen“ etwa. Oder: „Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andre nimmt sie in die Hand und handelt.“

Mehr Gegensatz geht nicht: Habeck fährt Fahrrad, Lindner lieber Porsche

Beide machten Karriere. Lindner stieg zum mächtigsten FDP-Politiker auf. Er zog als jüngster Abgeordneter aller Zeiten mit 21 in den NRW-Landtag ein, wurde 2012 Landesvorsitzender und 2015 schließlich Bundesvorsitzender der FDP. Im November 2017 lehnte Lindner für seine FDP eine Beteiligung an einer „Jamaica-Koalition“ (Union, FDP, Grüne) noch mit den markigen Worten „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ ab.

Diese Worte holten ihn längst ein.

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Der Start der „Ampel-Regierung“ (SPD, FDP, Grüne) im Herbst 2021 sei, das sagen in der Doku mehrere Experten, „eigentlich gut“ gewesen. Gut, Habeck hatte zu verarbeiten, dass er in der eigenen Partei als Kanzlerkandidat zugunsten von Annalena Baerbock ausgebremst worden war. Noch eine „Niederlage“: Auch Habeck hatte Finanzminister werden wollen. Das aber wurde Lindner. Und trotzdem: Aller Anfang geriet gut.

Bis Russland die Ukraine überfiel und den Deutschen den Gashahn zudrehte.

Bestseller-Autor Frank Schätzing: „Habeck hatte richtige Ideen, aber ...“

Von außen wurden die Druckstellen gesetzt, die das Innenverhältnis vor allem zwischen Lindern und Habeck implodieren ließen. Vereinfacht: Habeck wollte für seinen Traum, die Transformation zu einer klimaneutralen Volkswirtschaft zu gelangen, wenig Kompromisse eingehen, aber viel Geld ausgeben.

Weltbestseller-Autor Frank Schätzing („Der Schwarm“): „Habeck hatte richtige Ideen.“ Aber er habe die Umweltversäumnisse gleich mehrerer Vorgängerregierungen korrigieren wollen - und zwar in Rekordtempo. Da sei vieles zu unausgegoren geblieben.

Mit einem gemeinsamen Selfie wollten Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Finanzminister Christian Lindner Anfang des Jahres Einigkeit und Harmonie demonstrieren. Angesichts ihrer ständigen Streitigkeiten ernteten sie darauf aber hauptsächlich Spott.

Mit einem gemeinsamen Selfie wollten Wirtschaftsminister Robert Habeck (links) und Finanzminister Christian Lindner Anfang des Jahres Einigkeit und Harmonie demonstrieren. Angesichts ihrer ständigen Streitigkeiten ernteten sie darauf aber hauptsächlich Spott. 

Diese Schwachstellen nutzte vor allem Lindner, der als Finanzminister über den gar nicht so prall gefüllten Kassen wachte. Und der seine „Politik der schwarze Null“ nicht für - seiner Überzeugung nach - halbseidenen Kokolores aufzugeben bereit war. Politwissenschaftler Albrecht von Lucke: „Das Heizungsgesetz hat bei den Menschen so viel Angst und auch Hass auf die Grünen erzeugt, weil aus der eigenen Regierung so frontal dagegen geschossen wurde.“

Als das Verfassungsgericht den Nachtragshaushalt kippte, ging der Ofen ganz aus. Es mussten Prioritäten gesetzt und schwere Entscheidungen getroffen werden. Eine davon: die Streichung von Subventionen, was zum „Aufstand der Bauern“ führte. Schuld war nicht Habeck, sondern die Inkonsequenz der Regierung. Es wurde gemeinsam beschlossen, aber bald wankte Lindner, und sogar der zuständige Minister Cem Özdemir wollte plötzlich von den Vereinbarungen nichts wissen. Ein Partei-Kollege Habecks!

Die Gemeinsamkeiten von Habeck und Lindner: Sie nerven!

Bei allen Unterschieden haben Habeck und Lindner, die 2023 auf dem Höhepunkt ihres Kleinkriegs sogar per Brief und mit „Sie“ und recht polemisch kommunizierten, doch etliche Gemeinsamkeiten.

Erstens: Sie nerven alle. Sogar eigene Parteifreunde. Tarek Al-Wazir (Grüne) sagt in der Doku: „Wir sind selbst schuld daran. Weil, wenn man sich ständig miteinander streitet, dann darf sich niemand darüber wundern, dass die Leute das, was man gemeinsam hinkriegt, überhaupt nicht wahrnehmen.“

Zweitens: Ihre Werte gehen in den Keller. Und sie reißen ihre Parteien mit hinab. Die Grünen stürzten in der „Sonntagsfrage“ im ZDF-“Politbarometer“ von einst 25 Prozent auf 15 Prozent ab, die FDP von 15 Prozent auf unterhalb der magischen Fünf-Prozent-Hürde. Stand jetzt wird's bei der nächsten Wahl eng mit dem Einzug der FDP - von einer Regierungsbeteiligung ganz zu schweigen. Und wer trägt die persönliche Verantwortung? Genau ...

Drittens: Habeck und Linder stehen mit der kommenden Haushaltsverhandlung vor ihrer größten Herausforderung. Politisch wie persönlich. Denn: Wer bewegt sich, wer springt zuerst über seinen Schatten? Tut's überhaupt einer?

Deutschland gilt im Ausland als „kranker Mann Europas“

Es wird auch aus Laiensicht Zeit, dass sich die Streithähne sondieren und arrangieren, denn während sie sich zerfleischen, zerbröselt das Ansehen Deutschlands. Im Ausland wird vom „kranken Mann Europas“ gesprochen. Das Wirtschaftswachstum ist gering. Habeck fand es „dramatisch schlecht“, Lindner solche Aussagen „peinlich und gefährlich“. Egal, wer was sagt, einer gockelt immer.

Wie kann man den Hähnen den geschwellten Kamm glätten? Darauf weiß auch die ZDF-Doku keine Antwort.

„Habeck contra Lindner: Ziemlich beste Gegner“ ist am Dienstag, 30. April, 20.15 Uhr, im ZDF zu sehen und schon vorab in der ZDF-Mediathek. (tsch)