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Kölner Kult-Familie „Die Fussbroichs“Wie der WDR aus Versehen die Doku-Soap erfand

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Frank Fussbroich ist ab dem 15. Januar 2021 Kandidat bei „Ich bin ein Star – Die große Dschungelshow“. Das Foto zeigt ihn mit seiner Ehefrau Elke am 27. April 2019 bei der „Goldene-Sonne-Gala“ im Wunderland in Kalkar.

Köln – Wer hat die Doku-Soap erfunden? Der WDR! In den 90-ern wurde die Kölner Arbeiterfamilie Fussbroich Fernsehkult. Jetzt zieht's den Sohn des Hauses in eine RTL-Krawallshow.

Gut zehn Jahre haben es „Die Fussbroichs“ ohne Kamerateam im Wohnzimmer ausgehalten. Dann aber hat ihnen offenbar etwas gefehlt.

Von 2013 bis 2016 entstanden in Eigenregie DVD-Veröffentlichungen der Kölner Kult-Familie. Und auch einen Facebook-Kanal bespielen die Protagonisten der legendären WDR-Doku-Serie der 90-er.

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Einer Handvoll alter Fans „gefällt das“, wenn Familienvater Fred an Weihnachten Geschenke auspackt und Mutter Annemie, inzwischen mit Pagenschnitt, wie eh und je die Kalorien zählt.

Zuletzt wurde es jedoch auf der Seite etwas ruhiger, und an Weihnachten gab es sogar Grund zur Sorge: Fred und Annemie waren an Corona erkrankt, Annemie kam ins Krankenhaus.

„Dschungelcamp“ 2021: Frank Fussbroich ist mit dabei

Bekannt gemacht hat das gegenüber dem Sender RTL Sohnemann Frank aus aktuellem Anlass. Den inzwischen 52-Jährigen zieht es in die „Dschungelcamp“-Ersatzsause „Ich bin ein Star – Die große Dschungelshow“ (ab Freitag, 15. Januar, 22.15 Uhr, RTL).

Das ist nach einer Stippvisite nebst Gattin Elke im „Sommerhaus der Stars“ (2018) ein weiter, logischer und auch ein bisschen traurig stimmender Weg seit seinem Bekanntwerden in der „einzig wahren Familienserie“.

„Die Fussbroichs“: Das erste Real-Life-Format im deutschen Fernsehen

Es zeugt fast von tragischer Ironie, dass nicht das Privatfernsehen die Doku-Soap erfunden hat, sondern tatsächlich der WDR. Das allerdings in bester Absicht.

1979 drehte Ute Diehl in einem Kölner Kinderzimmer einen kritischen Dokumentarfilm über das Konsumverhalten des elfjährigen Frank Fussbroich.

Zehn Jahre später kehrte die Filmemacherin in dieselbe 68 Quadratmeter große Genossenschaftswohnung in Köln-Buchheim zurück, um nach dem Rechten zu sehen.

Der Erfolg der Ausstrahlung war so durchschlagend, dass sich eine Doku-Serie entwickelte. Wenn man so will, das erste serielle Real-Life-Format im deutschen Fernsehen.

„Das Besondere ist, dass wir nichts Besonderes zeigen“, beschrieb Ute Diehl das 1992 mit dem Grimme-Preis gekürte Konzept. Genau danach schaut „Die Fussbroichs“ auch aus.

Die Kamera hält schamlos drauf, wenn sich die Familienmitglieder in Unterhose auf dem Sofa fläzen. Aber die Haltung ist nicht voyeuristisch. Keine Drehbücher und kaum Inszenierung stören den Alltagsrealismus. Man schaut auch mal längere Zeit dabei zu, wie Ordnungsfetischist Fred auf einer Kommode Kleinstgegenstände sortiert.

„Die Fussbroichs“: Spott und Sympathie für die „Liz Taylor vun Kölle"

100 Folgen à 30 Minuten entstanden nach diesem faszinierenden Muster, die letzte wurde Weihnachten 2003 ausgestrahlt. Ein Stammpublikum von mehreren Millionen Menschen blickte den Fussbroichs ins enge Wohnzimmer mit der Eichenholzschrankwand.

Schichtführer Fred und die Verwaltungsangestellte Annemie wurden zu Alfred Biolek und Bettina Böttinger eingeladen.

Auf Schulhöfen wurden Freds Kloppersprüche zitiert, und Fashion-Victim Annemie verehrten sie als die „Liz Taylor vun Kölle“. So etwas passiert natürlich nur dann, wenn sich zum Spott mindestens ebenso viel Sympathie gesellt.

Vor allem der wie ein Wasserfall plappernde Fred hatte es den Menschen angetan. In diesem mit Minipli, Goldkettchen und Ballonseide verzierten Gemütsmenschen erkannten nicht wenige eine unterhaltsame Version ihrer selbst.

Fred hatte auf alle wichtigen Lebensfragen durchschlagend einfache Antworten, und er wusste, was er wollte. Zum Beispiel Urlaube auf Mallorca („Hier spreschen'se all Deutsch“), auch wenn ihm die Einheimischen nicht die Stirn bieten konnten („Die Spanier sind alle kleinwüchsig, das wird an der Ernährung liegen.“)

Als die ungleich entdeckungslustigere Annemie einmal einen Städtetrip nach Paris durchsetzte, konstatierte der Gewohnheitsmensch im Reisebus müde, durch eine fremde Stadt zu fahren, sei „ja wie ze Huss“. Nach Paris sind sie dann nicht mehr gereist.

„Die Fussbroichs“: Zwischen Kapitalismuskritik und Konsumrausch

Jahr ein, Jahr aus ging das in feierlicher Gleichförmigkeit so weiter zwischen Shopping, Pauschalurlaub und Omas Beerdigung. Fred ging bald in Frührente. Dass Zeit verstrich, merkte man am ehesten dann, wenn sich die Fussbroichs einen moderneren Fernseher oder ein neues Auto anschafften.

Mit den großzügigen WDR-Honoraren, auch das eine ironische Pointe, pilotierten die kapitalismuskritischen Filmemacher ihre Vorzeigedurchschnittsfamilie in den Konsumrausch. Fred freute sich beim Mercedes-Händler ehrlich: „Dat sisch der Arbeitsmann dat erlauben kann, find isch schon klasse.“

„Erzählen wollte ich, dass der Konsum die Menschen beherrscht und manipuliert“, reflektierte Ute Diehl ihre Absichten im Gespräch mit dem Spiegel“. „Über die Konsumschiene werden sie absolut passgerecht in die Gesellschaft einsortiert.

Auf diesem schmalen Grat sind Annemie und Fred aber durchaus ein beneidenswert glückliches, sympathisches Paar. Oder wie es Annemie mal auf einen konziseren Merksatz brachte: „Schönen Urlaub machen, nettes Auto fahren, dat ist dat.“

Filmemacherin Diehl: „Wir wollten nie jemanden niedermachen"

Nur Sohnemann Frank, mit dem einst alles begann, entwickelte sich bedenklich. Seine Freundinnen wechselte er fast so schnell wie seine Autos. Doch egal, ob gerade eine Friseurin (Pia), eine Kosmetikern (Heike) oder eine Fußpflegerin (Claudia) seinem Jungen-Charme erlegen war: Dass der jeweils „geilste Arsch von Köln“ am besten in der Küche aufgehoben ist, stand für das bekennende „Mamakind“ nie in Zweifel.

Über einige Jahre machte das nach allen Regeln der Kunst verwöhnte Einzelkind vorwiegend Negativschlagzeilen. „Irjendwie ist der Junge verdreht“, wusste sich selbst der Allwissende Fred keinen Reim zu machen. Immerhin auf die Familiensolidarität konnte sich Frank, ein gelernter Betriebsschlosser und Bodybuilding-Enthusiast, stets verlassen – wie auch auf die Fairness der Filmemacher:

„Wir wollten nie jemanden vorführen. Wir wollten nie jemanden niedermachen“, beteuerte Ute Diehl im Rückblick. „Wir wollten zeigen, dass das ein anständiges, gutes Leben ist."

Von Anstand und Fairness wird indes nicht die Rede sein, wenn der derzeit als Stuhlvertreter tätige Ex-Berufssohn in Kürze die RTL-„Dschungelshow“ beehren wird. Immerhin, eine lange Australien-Anreise entfällt. Aufgezeichnet wird die „Dschungelcamp“-Ersatzshow unweit seines Wohnorts Düren, in Köln-Hürth.

Dort trifft Frank Fussbroich auf TV-Prominenz, unter der das 70er-Jahre-Playmate Bea Fiedler und der frühere „Bachelor" Oliver Sanne fast noch die Namhaftesten sind. Was man dazu sagen soll? Manch altem Fan wird vielleicht Fred Fussbroichs berühmtestes Bonmot einfallen: „Für misch persönlisch ist das uninteressant.“ (tsch)