Kölner Kult-LadenOhne ihn würde es das „Gloria“ nicht geben – „hatte den Ruf eines Pornokinos“

Michael Zscharnack ist Chef des „Gloria“ an der Apostelnstraße in Köln

Michael Zscharnack (54) ist Chef des „Gloria“ an der Apostelnstraße in der Kölner Innenstadt.

Das „Gloria“ in der Innenstadt hat in Köln Tradition. EXPRESS hat mit Michael Zscharnack gesprochen. Ohne ihn würde es das „Gloria“ nicht geben.

von Christof Ernst (che)

Der Erfolg gibt ihm Recht: Michael Zscharnack (54) hat das „Gloria“ in der Apostelnstraße in den letzten fast 20 Jahren zu einem der bundesweit renommiertesten Veranstaltungsorte für Konzerte, Shows, Comedy und Partys gemacht.

Patrice, die Toten Hosen oder Max Mutzke nennen das „Gloria“ ihre liebste Location. Damit die Stars auf der Bühne glänzen können, haben Michael und seine Partnerin Claudia Wedell im Hintergrund einiges zu tun. Michael Zscharnack im EXPRESS-Interview.

Kölner „Gloria“-Chef: Beginn 2004 war ein Stolperstart

Michael, seit 20 Jahren managst du das „Gloria“. Der Beginn 2004 war eher ein Stolperstart, oder?

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Michael Zscharnack: Oh ja. Ich kam im Jahr 2000 mit Walter Bockmayer als technischer Leiter ins Haus und blieb. Nachdem es im Gloria zunehmend ruhiger wurde, stellte sich 2004 dann die Gretchenfrage: Soll ich den Laden übernehmen. Eigentlich hatte ich nicht das nötige Geld. Ich habe es trotzdem gewagt. Meine Partnerin Claudia Wedell kam dazu und hat alle Höhen und Tiefen miterlebt.

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Hattest du Angst zu scheitern?

Michael Zscharnack: Nein, keine Angst. Es war ja der Anfang der Erfüllung eines Traums. Als ich 1999 das erste Mal, damals noch als Musiker, das Gloria betrat, war das Liebe auf den ersten Blick. Hier wollte ich mal was zu sagen haben. Und dann war ich 2004 zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Aber leicht war es sicher nicht. Das „Gloria“ hatte damals den Ruf eines ehemaligen Pornokinos und galt als Schwulenhochburg, die aber bei der Community damals nicht mehr angesagt war und auch von anderen Gästen gemieden wurde. Das waren Hürden, die wir für undenkbar gehalten haben.

Du hast bis 1999 bei „Ralley“ den Bass gezupft. Später wurde daraus die sehr erfolgreiche Band Klee. Bereust du den Ausstieg?

Michael Zscharnack: Wir stehen immer noch in engem Kontakt. Vor kurzen hat Klee den Holger Czukay-Preis gewonnen. Da war ich auch eingeladen. Es kamen natürlich Erinnerungen hoch, und es gab so manchen sentimentalen Augenblick. Man darf aber nicht vergessen: Die Musik ist immer noch wichtig in meinem Leben. Ich habe nur die Seiten gewechselt. Früher war ich Musiker, heute sehe ich mich als Ermöglicher, indem ich den Künstlern eine Bühne mit möglichst optimalen Bedingungen im Gloria biete. Mein Motto ist: Spielen unter würdigen Bedingungen.

Im „Gloria“ wird übrigens nicht nur gesungen – Promis traten im April 2024 bei „Kölle Pally“ an die Darts-Scheibe (hier mehr lesen).

Ist das der Grund, warum Bands und Solokünstler wie Coldplay, Pink, Clueso, Patrice, Max Mutzke und die Toten Hosen hier aufgetreten sind und immer gerne wiederkommen?

Michael Zscharnack: Ich denke schon. Ich freue mich sehr, dass unsere ehrliche, authentische und professionelle Art, weit über die Grenzen Kölns so honoriert wird. Wir haben einiges modernisiert und den alten Charme erhalten. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was Künstler brauchen. Sie sollen bei uns angekommen und sich für einen Tag wie zu Hause fühlen. Es geht aber nicht nur um die Musik, bei uns finden ja auch Comedy-Abende, Lesungen, Live-Podcast, Partys und TV-Produktionen statt. Selbst der Kölner Karneval kehrt gerne bei uns ein.

Wie kam es dazu, dass die „Sportfreunde Stiller“ mit ihrem WM-Song „54,72, 90, 2006“ im Gloria Weltpremiere hatten?

Michael Zscharnack: Der Manager der Band war auf der Suche nach einem perfekten Club für eine Lesung mit Konzert. Als er dann mich, einen alten Bekannten, an der Strippe hatte, war die Entscheidung schnell getroffen. Der Song wurde zwar später am Brandenburger Tor vor und von Hunderttausenden gesungen. Aber direkt nach der Welturaufführung bei uns wurde der Song von der Presse ordentlich verrissen – auch von einer Kölner Zeitung. Und das war nicht der EXPRESS ...

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Im Gloria gilt der Grundsatz „Never touch the artist“, also „Fasse nie den Künstler an“. Was bedeutet das?

Michael Zscharnack: Hier geht es vor allem um Respekt der ohnehin wenigen privaten Momente der Künstler und Künstlerinnen im Touralltag. Wir wollen, dass sie sich bei uns wohlfühlen, und da gehört es dazu, ihnen Rückzugsorte zu schaffen und sie vor Fans, die teilweise schon frühmorgens vor der Tür warten, zu schützen. Auf der anderen Seite versuchen, wir mit Künstlern und Künstlerinnen „ganz normal“ umzugehen. Die meisten mögen das sehr.

Lärmprobleme sind ein großes Thema in der Stadt. Veranstaltungen müssen früher enden oder finden erst gar nicht statt. Wie ist das bei euch?

Michael Zscharnack: Uns ist ein gutes Verhältnis zu unseren Nachbarn wichtig, und wir nehmen deren Bedürfnisse ernst. Ein Beispiel: Wenn eine Band mit einem Nightliner kommt, dann belastete das die Situation auf der Straße, besonders an den Wochenenden. Also haben wir die Konzerte an diesen Tagen reduziert. Außerdem haben wir in moderne Technik investiert. Man kann Lautsprecher so ausrichten, dass sie nicht mehr so viel Schall auf Wände und Böden abgeben und dadurch Resonanzen produzieren. Und am wichtigsten: Die Tür hinter der Bühne nach draußen bleibt zu – selbst wenn da der Papst durchgehen wollte.

„Gloria“-Chef Michael Zscharnack 1996 mit rotem T-Shirt

Wie sich die Zeiten ändern: Zscharnack 1996 im rotem T-Shirt

Du bist sehr tolerant den Extravaganzen der Künstler gegenüber. Woher kommts?

Michael Zscharnack: Manch einer von uns hat mal einen oder mehrere Songs gespielt und damit etwas Erfolg gehabt, aber das zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit reproduzierbar zu machen, das macht die Professionalität der Künstler und Künstlerinnen aus. Denn egal, ob der Hamster tot ist oder ob man Schnupfen hat: Man muss sich auf die Bühne stellen und liefern. Und unten im Saal interessiert es keinen, wie es denen da oben grad wirklich geht. Da ich die Bühnenseite kenne, kann ich nachvollziehen, welch emotionale Leistung da oft nötig ist und welchen Raum diese braucht.

Wie steht es um die Macken der Bands und Künstler?

Michael Zscharnack: Ich werde keine Namen nennen. Aber bei einer japanischen Band war es besonders speziell. Da heißt auch in deren Sprache ein Theater-Scheinwerfer nicht „Stufenlinse“, sondern „Jenes, was uns von der Decke erleuchtet“. Nachdem das übersetzt und ganze Equipment eingebaut war, sah es im Saal aus wie in einer Dreifach-Turnhalle – und das, obwohl die Band nur Playback gespielt hat!

Welches Konzert im Gloria hat dich besonders berührt?

Michael Zscharnack: Das war insbesondere der Auftritt von „Klee“ 2006. Denn das Motto der Tour war „Stärker als du denkst“, und das hat mich nach dem Tod meines Vaters kurz vorher sehr berührt. Der Singer und Songwriter Billy Bragg geht mir auch sehr nahe. Die ersten Showcases im Haus, mit Oasis 2008, und, outstanding, der Auftritt von Joe Jackson.

„Gloria“ in Köln: Der Energie-Sparfuchs Michael Zscharnack

Michael Zscharnack wurde am 16. Januar 1970, also im Zeichen des Steinbocks, bei Geldern am Niederrhein geboren. Nach Real- und höhere Handelsschule absolvierte er eine Lehre als Radio- und Fernsehtechniker und machte das Fachabitur Elektronik. Nach seiner Zeit als Zivi im Krankenhaus Kevelaer unterrichtete er als Gitarrenlehrer unter anderen den heutigen Deutsch-Pop-Star Johannes Oerding. Zscharnacks Fachkenntnisse als Elektroniker waren beim „Gloria“ von Nutzen, das einen hohen technischen Standard hat.

Zweiter Schwerpunkt ist die Nachhaltigkeit, auf die Zscharnack und seine Partnerin Claudia Wedell großen Wert legen. So ist zum Beispiel die Klima- und Lüftungsanlage nach neuesten Erkenntnissen der Wärmerückgewinnung ausgelegt. Das „Gloria“ bezieht Ökostrom, und fast alle elektrischen Geräte arbeiten energiesparend.