JVA-Skandal AachenEr war der gefährlichste Häftling in NRW - jetzt liegt er im Koma

Köln – Seine Hände und Füße sind stark verkrampft, der Atem geht schwer. Fatih Güclü (33) liegt im Wachkoma, in einem Pflegeheim im Großraum Köln. Das Zimmer ist geschmückt mit Fotos und einem Fußballtrikot, aus dem CD-Player schallt Popmusik. Am Bett steht sein Vater (60), so wie jeden Tag, und trauert um das Schicksal seiner Familie.

Wie konnte aus seinem geliebten Kind ein Intensivtäter werden? Was trieb seinen Sohn dazu, trotz schärfster Haftbedingungen (siehe rechts) immer wieder Justizvollzugsbeamte zu attackieren und sie zu verletzen?

 Und was führte dazu, dass Fatih Güclü nur wenige Monate vor Haftende stranguliert an seinem Zellenfenster der JVA Aachen hing, ihn die Schließer nicht sofort befreiten (EXPRESS berichtete) – und der Mann nun als Schwerstpflegefall im Wachkoma liegt?

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Bilder einer glücklichen Kindheit schmücken das karge Krankenzimmer.

Der Vater hat Tränen in den Augen, sagt: „Fatih war ein guter Junge. Ich habe noch zwei Söhne und eine Tochter. Allen geht es gut. Aber Fatih – er hatte damals die falschen Freunde. Sie stellten dumme Dinge an – und schickten Fatih vor.“

Kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keine Träume. Stattdessen viele Dummheiten, Drogen, Delikte: Schon mit 15 erste Ladendiebstähle, mit 19 das erste Verfahren wegen Körperverletzung, mit 21 erste Haftzeit in der JVA Köln. Mit 23 schließlich die Verurteilung vorm Landgericht Köln wegen versuchter Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und räuberischen Diebstahls: Sieben Jahre Haft. Ein Schock.

„Wir kamen an Fatih nicht ran, wir konnten ihn nicht auf den richtigen Weg zurückbringen, auch wenn wir es immer wieder probiert haben“, sagt der Vater rückblickend. „Er hörte leider nur auf seine Freunde, nicht auf die Familie.“

Das eigene Kind im Gefängnis zu sehen, gefesselt, weinend, hinter einer Scheibe – dieser Alptraum wurde für ihn wahr. Und noch schlimmer. Denn Fatih war weiterhin extrem aggressiv, für JVA-Beamte und Häftlinge extrem belastend – und wurde deshalb in NRW immer wieder spontan verlegt.

„Ich fuhr mit meiner Frau nach Bochum, Aachen, kreuz und quer durch NRW. Im Auto, es war sehr anstrengend. Einmal rief ich in der JVA Geldern an, um uns anzumelden. Da hieß es: Ihr Sohn? Der ist weg.“ Der Vater, der früher bei der Deutz AG arbeitete: „Meine Frau und ich, wir sind im Laufe der Jahre krank geworden. Wir sind sehr traurig. Unser Leben ist kaputt. Aber wir sind jeden Tag bei unserem Kind.“

Um die genauen Umstände des Selbstmordversuchs aufzuklären, rollt Anwältin Corinna Born (59) den Fall noch einmal auf, verklagt die JVA Aachen auf Schmerzensgeld und Übernahme der Pflegekosten.

Fatih Güclü: Das waren seine Haftbedingungen

• Die Zelle: Ein verstärkt gesicherter Haftraum mit zusätzlicher Gittertür.

• Die Wärter: Die Zelle durfte nur von „mindestens drei Bediensteten“ geöffnet werden. In Notsituationen sollte Güclü erst gefesselt werden, bevor bei ihm medizinische Hilfe geleistet wird.

• Duschen: Nur montags und donnerstags, nur 15 Minuten, mit Fußfesseln.

• Hofgang: Stets an Händen und Füßen gefesselt, isoliert von anderen Gefangenen, in Begleitung von mindestens drei Wärtern. Vorher und nachher Untersuchung mit Metalldetektor.

• Bei Prozessen: Bewachung durch je zwei Wärter und je zwei bewaffnete Polizisten. Füße und Hände gefesselt, diese am Bauchgurt.

• Besuche: Stets komplett gefesselt, mit Trennscheibe.